Mensch und Maschine, wer bedient hier wen?

Anita Jacob-Puchalska
3 min readApr 17, 2021
Kann ich das analoge Leben noch mal sehen?

Vielleicht fängt es schon damit an, dass wir von Human-Computer-Interaction reden. Der Begriff ist ja richtig, Menschen und Maschinen interagieren miteinander. Aber wer bedient hier eigentlich wen?

Als Kind der 90er ist für mich der Gedanke an “Computer” und den ersten Commodore 64 noch mit einem Bild verknüpft, das von viel Unverständnis und Zurückweisung geprägt wurde. Ein Computer war für mich lange eine mystische graue Box, die sogenannte Daten verarbeitet und nur mit Einsen und Nullen gefüttert wird. Die Kommunikation mit dem Gerät war damals sehr holprig, hilflos und konstant frustrierend. Um Computer nutzen zu können, musste man sich viel aneignen, sich an ihre Eigenheiten anpassen und lernen, wie sie funktionieren. Wenn man mehr vorhatte, als mit pixeligen Minispielen den technologischen Wandel aus sicherer Entfernung zu zelebrieren, war es nötig, einiges an Lebenszeit investieren, um eine Handvoll Programmiersprachen zu lernen. Sprachen wohlgemerkt, die offenbar nicht wichtig genug waren, als dass sich jemand mal einen vernünftigen Namen für sie ausgedacht hätte. Einem “Turbo Pascal 2” würde ich auch heute noch nicht mal die Hand geben.

Spulen wir 25 Jahre vor. Computer sind überall. Das hat nun wirklich jeder von uns bereits festgestellt, denn unser Leben berührt in fast allen Bereichen die digitale Welt. Computer sind gekommen, um zu bleiben. Wie Rumpelstielzchen damals brauchen auch wir alle heute unser Feuer, um das wir jeden Tag tanzen können, der wilde Mix aus Social Media, News und stumpfsinnigen Videos, die uns eine jederzeit verfügbare Realitätsflucht in Endlosschleife erlauben.

Das Gute daran ist gleichzeitig auch das Schlechte daran: Technologie ist menschlicher geworden. Sie ist benutzbar geworden und verfügbar und allgegenwärtig. Sie ist unser Begleiter in allen Lebenslagen. Sie ist so präsent, dass wir gar nicht mehr ohne sie können. Ohne Google Maps in eine unbekannte Gegend gehen? Unmöglich. Ohne einen kurzen Blick auf die Wetter-App vor die Tür gehen? Unmöglich. Durch den Tag kommen ohne mehrmals am Tag nach News oder Statusupdates zu gucken? Unmöglich.

Wir haben dem technologischen Fortschritt viel zu verdanken, keine Frage. Aber wer ist hier eigentlich für wen da? Warum brauchen wir Technologie noch mal? Ging es nicht in erster Linie darum, uns Menschen zu helfen, uns den Alltag zu erleichtern oder uns Dinge zu ermöglichen, die unser Leben bereichern? Auf wie viele der “Innovationen”, “Produkte” und sonstigem Digital-Trash, der uns umgibt, trifft das denn zu?

Bei vielen dieser Dinge werde ich das Gefühl nicht los, dass sie uns etwas geben, aber im Gegenzug noch viel mehr nehmen. Unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit, unsere Energie, unser Unbewachtsein.

Dieser Amigo passt auf, dass wir brave Bürger bleiben. Keine Sorge, der will nur spielen. Quelle.

Ich war immer ein Freund von all den Möglichkeiten, die uns diese neue, digitale Welt gegeben hat. Wir alle haben uns mit ihr weiterentwickelt und zuvor Unvorstellbares erleben können. Nur, wenn wir ehrlich sind, was machen wir eigentlich all die viele Zeit online? Wieso leben wir online?

Was haben uns 90% der ganzen Screenzeit außerhalb der Lohnarbeit denn eigentlich gebracht?

Kann ich das andere, analoge Leben noch mal sehen?

Vielleicht sollten wir alle etwas mehr Acht auf uns geben und bewusst machen, wie wir unsere Zeit verbringen. Wovon wir unsere Aufmerksamkeit lenken lassen und dem entgegensteuern. Und wir sollten reflektieren, ob das, was wir für sie aufgeben, auch auf lange Sicht zu unserem Nutzen ist.

Lasst uns wieder mehr bar zahlen, Leute nach dem Weg fragen und ohne Handyscreens miteinander sprechen. Das wäre zumindest ein Anfang.

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